Weiblich, jung, kritisch. Ein Manifest.
Wer es noch nicht mitbekommen hat: Der Landeshauptmann – Stellvertreter des Landes Tirol bezeichnete jüngst eine WWF Aktivistin als „widerwärtiges Luder“. Ein Aufschrei geht durch das ganze Land. Einige wundern sich, warum der Eklat nicht abkühlt. Hier meine Haltung dazu.
Es gibt bereits T – Shirts mit der Aufschrift „widerSTÄNDIGES Luder“. Widerstand ja, Luder nein. Der betroffene Politiker versuchte es noch mit den Worten abzuschwächen, dies sein ein Begriff der Jägersprache: Luder sei der Kadaver, der Raubtiere anlocken soll. Ok. Was lockt also das weibliches Luder – Objekt an?
Mit „widerwärtig“ reagierte er auf ihre Unart, sich von ihm nicht ins Wort fallen zu lassen. Er sagte ihr dies auch nicht ins Gesicht, er wandte sich zu einer grünen PolitikerIN und warf es in ihre Richtung, sich ihrer Zustimmung sicher. Umweltaktivistinnen sind also widerwärtige Luder. Sie wagen es, ungeachtet seiner Widerrede ihr Anliegen vorzubringen. Von einem Politiker, dem Naturschutzangelegenheiten anvertraut wurden.
Tage danach Stammelversuche einer Entschuldigung. Warum? Es gibt ein Video. Die Medien haben es aufgegriffen. Der öffentliche Druck ist ganz schön mächtig. Trotzdem wird dieser und einige andere Herren wohl in ihren gut bezahlten Posten verharren und somit viele Chancen verhindern, die integere, offene, faire, engagierte, empathiefähige Persönlichkeiten an ihrer Stelle eröffnen und durchsetzen würden.
Nicht nur „nicht in Ordnung“
Es offenbart ein gesellschaftliches Problem, welches hier im Großen sichtbar wurde und im Kleinen beginnt. Ich kenne kaum eine Frau, die nicht davon betroffen ist. LEIDER nehmen es viele als gegeben hin. Sie wissen: sobald sie sich wehren, sind sie nicht gern gesehen – widerwärtig – und das ist ein harter Weg mit vielen Stolperfallen. ( Manche fühlen sich vielleicht auch wohl im Patriarchat, ich kann anhand mancher Kommentare in diversen Internetforen nur mutmaßen.)
Ich hab es satt in einer Gesellschaft jeglicher Dominanz zu leben, nicht nur der männlichen! Woraus entstehen denn „wahrlich widerwärtige“ Verhaltensweisen, Aussagen, Reaktionen? Um zu so einem Luder – Gedanken zuerst einmal zu gelangen (den mann dann noch präpotent ausspricht) muss mann davon ausgehen, dass sein Gegenüber weniger wert ist. Sein Gegenüber hat seiner Meinung nach nicht das RECHT, die eigene Meinung oder Haltung auszusprechen, er möchte nicht zuhören. Er sieht sich selbst in einer Position, in der er abwerten DARF. Scheinbar ist er sich seiner unantastbaren, übermächtigen Position sehr sicher, ansonsten hätte er diese Worte nie öffentlich ausgesprochen. Auch ist er sich der konsequenzenlosen Zustimmung sicher, da er die Worte wie selbstverständlich an eine Frau (über eine andere Frau) richtete. Er hat – nebenbei gesagt – ja auch Rückendeckung von einem noch mächtigeren Mann, der den Fall für uns alle als bereits beendet erklärt hat, ohne uns zu fragen, ob wir auch alle damit einverstanden sind.
Erhöhung
Erhöhung! In allen, allen gesellschaftspolitischen Konflikten ist diese eine Charaktereigenschaft ausschlaggebend für sehr viel Leid. Wenn Menschen mit dieser Charaktereigenschaft einflussreiche Positionen besetzen zerstören sie nicht nur die individuelle Würde von GesprächspartnerInnen, sie zerstören auch Naturräume, sie nehmen Millionen Tierleben, sie rechtfertigen Gewalt, sie geben Unrechtmäßigem im großen Stil RECHT. Selbiger Politiker reagierte auch schleppend auf das Gatterjagd – Massaker von Kaisers, auch hier aufgrund von massivem öffentlichen Druck und bürgerlichem Engagement. Ansonsten wäre das wahrscheinlich mit einem Schnapsl erledigt gewesen.
Folgende Beispiele sind gesammelt aus Erzählungen, Beobachtungen Erfahrungen: Mädchen, hör auf. Was will mir gestandenem Mann ein so junges Mädchen erzählen. Job wird an Mann vergeben, weil Frau zu unsicheres Auftreten. Job wird an Mann vergeben, weil Frau zu jung. Job wird an Mann vergeben, weil Frau zu offensiv. Job wird an Mann vergeben weil Frau zu unbequem. Frau tritt geschäftstüchtig auf > sie ist zu verbissen. Frau tritt weiblich auf > sie ist wenig kompetent. Frau hat Kinder > sie kann nicht bei der Sache sein. Frau hat keine Kinder > was stimmt mit der nicht. Frau erledigt den Job, Mann präsentiert es als sein Werk und kassiert dafür. Frau arbeitet dem Mann im Stillen zu, Mann erwähnt sie nicht. Frau hat die Idee, Mann klaut sie, nicht ohne sie vorher als schlecht darzustellen. Frau stellt ein Projekt auf die Beine, welches dem Mann in seiner Macht gefährlich werden könnte, Mann rationalisiert es weg. Frau ist ständig verfügbar und trägt die Verantwortung, Mann verdient für weniger Arbeit mehr. Frau traut sich dies anzusprechen, Frau wird gemobbt. Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau – HINTER!!! Frau wird optisch abgeurteilt. Im schlimmsten Fall in Kategorien eingeteilt.
Hat Frau nun einmal eine Position eingenommen, in der ihr zugehört werden muss, sie sich ZUMINDEST in Augenhöhe befindet und es dann wagt KRITIK zu üben, beginnt das Programm: Aufplustern, Aufblasen, ignorieren oder belächeln, „überreden“ (ins Wort fallen, nicht ausreden lassen, Parolen: Ach gee.., Abwertungs – Laute), anzweifeln, abwerten. Belustigtes Anstarren oder kein Augenkontakt. Gibt es sowas wie attitude – shaming? Abwerten des Gesagten, des „wie es gesagt wurde“, der Meinung, der Haltung, Abwerten der gesamten geleisteten Arbeit. Suche nach „Allierten“ in der Runde, zustimmendes Nicken. Gerade in Tirol scheint es Standard zu sein, dieses routinierte Verhalten als „so ischs halt“ und zulässig zu akzeptieren. Der mächtige Mann wird durch stille weibliche Zustimmung – die in dieser Dynamik oft entsteht – noch mächtiger.
Auch ich
bin Teil davon. Muss mir vieles sagen lassen, wobei mir die Wuttränen in den Augen stehen. Ich bin Aktivistin (besonders positioniert also), es reicht aber eigentlich schon, dass ich weiblich und kritisch bin. Und jung (aussehe, zumindest).
Vor Auftritten unter mehreren Männern habe ich Angst. Zweifle den Wert meiner Arbeit stark an. Ich füge zu den besten Arbeiten hinzu: „Wenn es nicht passt, dann ändere ich es noch!“ statt: “ Ich habe wochenlang dafür gearbeitet und gratuliere mir selbst für dieses Projekt“. Ich bin perfekt konditioniert in diesem kleinhaltenden System und vor mir selber erschrocken.
Vorfälle wie das „widerwärtige Luder“ rütteln an mir, um an der Gesellschaft zu rütteln. Ich bin eine kritische Denkerin und möchte mich nicht aus Gewohnheit in dieses veraltete, patriarchale System einfügen. Meine innerste Haltung ist gegen jede Art der Erhöhung. Nicht die/der vermeintlich Schwächere darf die negativen Konsequenzen seines starken Auftretens spüren, die/der Unterdrückende muss die Konsequenzen des Machtmissbrauches spüren. Weiter gedacht dürfte es gar kein „ums Gesehen und Gehört werden – kämpfen“ mehr geben!
Dies soll kein Antimänner – Beitrag sein. Mit großer Freude sehe ich integere Männer, die ich auf der Stelle gerne umarmen würde. Nur bei uns im Lande muss man sie an höheren Positionen ein bisschen suchen, genauso wie die Frauen!!! Tretet bitte vor den Vorhang! Mag sein, dass diese Männer inmitten der selbstverherrlichenden männlichen Allmachtspolitik auch das Handtuch geworfen haben. Ihr lest jetzt vermutlich auch diesen Beitrag und denkt darüber nach, DANKE! Ich möchte damit vor allem Menschen ansprechen, die andere aufgrund ihrer Position unreflektiert abwerten, es gibt sicher auch Frauen die das tun.
Tirol hinkt – wie in vielem – Jahrzehnte hinterher. Ich hoffe die überalterte Regierung mit Sichtweisen der 50er Jahre gibt ab, an Frauen und Männer die sich für die Natur, die Schwächeren und die Nachwelt aus tiefstem Herzen einsetzen. Die sich nicht als erhöhte allmächtige VolksvertreterInnen, sondern als VerantwortungsträgerInnen und viel mehr Vorbilder sehen. ICH halte viel von den JUNGEN Menschen, ich halte viel von deren Esprit, Veränderungswillen, Weitsicht und Handlungskompetenz. Bleibt widerSTÄNDIG!
Ich trete ein für eine Zukunft
in der niemand mehr „von unten“ kämpfen muss
und alle eine Stimme haben, auch die Stimmlosen!
Christina