Gutmensch und so
Eine Wieder – Richtigstellung, aus der Sicht eines kleinen Gutmenschleins.
Warum hinsehen, wenn man auch wegsehen kann?
Warum immer Dinge sehen, die man nie mehr vergisst?
Warum alles geben ohne nehmen zu wollen?
Warum mit jemandem reden, der nicht antwortet?
Warum mit einem Mitleid haben, der kein Mitleid kennt?
Warum eine Freundschaft eingehen, die bald enden wird?
Warum alles für jemanden geben, der sich selbst schon aufgegeben hat?
Warum weitermachen, wo keine Hoffnung ist?
Warum sich nicht darauf verlassen, dass es ein anderer tut?
Aus Liebe.
Das sind Worte vom Österreichischen Roten Kreuz, aus Liebe zum Menschen.
In den letzten zwei Wochen hatte ich zeitgleich zwei Kaninchennotfälle, die mich an die Grenzen der Belastbarkeit gebracht haben. Beide Kaninchen sind alt, beide brauchen ständige Überwachung. Der eine weil er eine LeistenOP hatte und die Wunde sich nicht öffnen darf, der andere (der schon mit chronischem Schnupfen vorbelastet ist und aufgrund seines Alters sehr dünn ist) hatte einen EC Ausbruch, aufgrund dessen dann eine Magenüberladung und kurze Zeit später eine Aufgasung. Er tut mir so leid, er kann sein Köpfchen nicht mehr halten, zittert. Ich bin fast ständig wach, „aware“, schaue ob er warm hat, gebe ihm was ein, setze ihn gerade hin, streichle ihn, rede ihm gut zu obwohl ich selber Angst habe.
„Du schaust gar nicht gut aus“, sagt mein Umfeld. „Lass das doch mit den Kaninchen“, sagen sie. „Immer wieder nimmst du eins und am Ende stirbts ja doch“, sagen sie. „Mach dir nicht immer soviel draus“, sagen sie („es sind ja nur Kaninchen“ trauen sie sich inzwischen nicht mehr zu sagen). Als ich dann beim Tierarzt umgekippt bin, fühlten sie sich bestätigt. „Siehst du, ich habs doch gesagt! Um Himmels Willen, du musst bloß auf dich aufpassen dass du deinem Job noch nachgehen kannst!“ sagen sie.
Ich finde nicht, dass ein Kaninchenleben weniger wert ist als ein anderes. Kein Seelchen darf in seiner größten Not alleine gelassen werden. Ich gebe zu, es überfordert mich zeitweise. Wenn ich aus der Tierarztpraxis komme, alleine, das Kaninchen voller Angst, ich voller Sorge und eigentlich selber jemanden brauche, der sich um mich kümmert. Oder wenn ich nachts alleine neben dem kranken Kaninchen sitze, verzweifle und nicht weiß, ob ich jetzt zum Nottierarzt fahren soll. Dass es da niemanden gibt der mir sagt, da gehts lang. Dass ich ein ganzes Leben in Händen halte. Dass meine Entscheidungen ausschlaggebend sind für ein ganzes kleines und für mich so großes Leben. Tränen helfen da auch nicht. Das Kaninchenkrankenzimmer Chaos pur, ich selbst ebenso, ich vergesse tagelang in den Spiegel zu schauen, schlafe nur auf Standby, ignoriere jede Erschöpfungserscheinung, aber ich habe noch nie darüber nachgedacht zu flüchten. Nicht eine Sekunde.
Warum sich nicht darauf verlassen, dass es ein anderer tut?
Was mir auch in anderen Beiträgen wichtig ist, ich schreibe dies nicht um mich selbst zu beweihräuchern oder mich gar selbst zu heilen. Ich schreibe um im Schreiben zu erkennen, was passiert. Ich bin immer in Aktion und setze mich nie hin um einfach nachzudenken, so offenbart sich mir vieles im Schreiben.
Die Wahrheit ist, ich weiß nicht WARUM ich das mache. Es ist ein innere Verpflichtung, die ich nicht steuere. Immer wenn ich Tiere in Not sehe, muss ich helfen. Ich denke nicht: wen könnte ich anrufen, wer könnte das besser? Ich steige selbst aus dem Auto und hebe das Tier von der Strasse auf, ich gehe selbst zum Arzt um zu beruhigen während der schmerzhaften Behandlung, ich streite selbst mit denen, die das Leid verursacht haben. Schlimm ist für mich (und das habe ich gemerkt als ich in der Tierarztpraxis am Boden lag um das Blut wieder in den Kopf zu bekommen) wenn ich das Tier in seiner Not alleine lasse. Mein Kaninchen hatte Schmerzen und ich war zu weit entfernt um es zu beruhigen. Wenn ein Tier stirbt in meiner Abwesenheit ist das auch eine Sache, die ich mir nicht verzeihe. Generell verzeihe ich mir keinen Tod, auch wenn ich bis zum Ende das Beste gegeben habe, es war dann doch nicht gut genug.
Ich bin ein Mensch, wenn ich umkippe, dann rennen eh drei Leute und helfen mir. Davon abgesehen will ich das gar nicht, ich möchte lieber alleine sein wenns mir schlecht geht, sofern ich halt nicht gerade sterbe. Aber beim Kaninchen oder dem angefahrenen Igel rennt fast niemand. Vor drei Tagen hab ich eine Amsel auf einer Schnellstrasse gefunden. Sie saß da, Beinchen nach vorne, am Mittelstreifen. Die Autos rasten mit 100 km/h an ihr vorbei. Was muss in diesen Momenten in diesem Wesen vor sich gehen? Was geht in denen vor, die es sehen und einfach vorbeifahren? Haben sie „keine Zeit“ oder ist ein Vogel nicht wertvoll genug?
Es ist für mich pure Glückseligkeit wenn das Kaninchen, das verletzte/eingesperrte Tier wieder gesund und frei ist. Wenn es mich mit den Knopfaugen anschaut und den Kopf schüttelt vor Freude. Ich bin der festen Überzeugung dass die kleinen und großen Tiere ein Recht auf bestmögliche Hilfe haben. Dass es nichts Wichtigeres gibt als ein Leben zu retten. Ich würde meinen Job, meine Gesundheit, meine Beziehung, meinen „Ruf“ auf den ich sowieso nichts gebe riskieren um zu helfen. Ich erinnere mich noch an die Situation 2013 mit einer Entenfamilie. Diese wollte bei einem Kreisverkehr die Strasse kreuzen. Ich habe das Auto quergestellt und mich selbst, damit überhaupt wer anhält. Dies gelang, aber das Drama nahm seinen Lauf indem sie danach über die Bahngleise wollten. Eine Frau hielt an um mir zu helfen. Wir holten Klappkisten um die Küken einzusammeln. Die Schaulustigen riefen: „Du bist doch verrückt, der Zug kommt jede Minute, geh sofort von den Gleisen runter!“ Sie dachten wirklich sie sehen hier gleich eine zermatschte Christina. Ich war mir der Situation sehr wohl bewusst und ich hatte auch Angst, ich zitterte und konnte nicht sprechen, aber ich habe es mithilfe der Frau geschafft, alle Küken einzusammeln und zusammen mit der Mama weit weit weg von dem gefährlichen Ort zu bringen, bevor 5 Minuten später der Zug kam und alle andächtig aufatmeten.
Jetzt mal angenommen, ich hätte mich von meiner Angst oder den Ratschlägen dieser Art Mensch beeinflussen lassen. Dann wären wir alle da gestanden und hätten zugesehen, wie die Küken überfahren werden. Es sind ja „nur“ Enten. Ich wäre meines Lebens nicht mehr froh geworden. Ich hätte helfen können, habe es aber nicht getan. Das sind die Situationen, die ein Leben lang unerträglich bleiben. Es sind nicht „nur“ Enten, ich bin auch „nur“ ein Mensch. Für mich stellt sich die Frage bei den Tieren und schwächeren Wesen einfach nicht, wer oder was mehr wert ist und was man investiert und besser lassen sollte. Ich komme bei gleich starken oder stärkeren Menschen an meine Grenzen.
Manche, die mein Handeln nicht verstehen können sagen von mir, ich bin ein Gutmensch. Gutmensch ist eine ironisch, sarkastisch, gehässig oder verachtend gemeinte Verunglimpfung von Einzelpersonen oder Gruppen/Milieus („Gutmenschentum“). Diesen wird, aus Sicht der Kritisierenden, ein übertriebener, nach äußerer Anerkennung heischender Wunsch des „gut sein“-Wollens in Verbindung mit einem moralisierenden und missionierenden Verhalten und einer dogmatischen, absoluten, andere Ansichten nicht zulassenden Vorstellung des Guten unterstellt. In der politischen Rhetorik wird Gutmensch als Kampfbegriff verwendet. (wikipedia)
Auch mein veganer Lebensstil wird mir als Trendsetting oder Anerkennungswunsch zugesprochen. Die grüne studierte Veganerin mit ihren Hasen, meint, sie ist was Besseres. Nein, sag ich dann immer. Ich bin vegan und „das mit den Hasen“ mach ich, weil ich eben NICHT was Besseres bin. Ich seh mich auf derselben Ebene, bin nicht berechtigt sie zu essen oder im Stich zu lassen.
Ebenso wie ich nicht was Besseres bin, weil ich hier geboren wurde und nicht flüchten muss.
Ebenso wie ich nicht was Besseres bin, weil ich Zugang zu Bildung hatte, ein paar kluge Entscheidungen getroffen habe und sparsam war. Stolz bin ich nicht auf meinen Titel oder materiell erreichte Dinge, stolz bin ich auf meine Herzensbildung.
Ebenso wie ich nicht was Besseres bin, weil ich als Mensch geboren wurde und nicht als Schlachtvieh oder Versuchstier.
Ich brauche kein menschlich destruktives Feedback, ich ziele auf eine große Veränderung ab, die ich durch mein winziges Handeln Schritt für Schritt hoffentlich erwirke.
Deswegen heb ich auch zwanzig Regenwürmer hintereinander auf. Oder die Biene.. und geb ihr Zuckerwasser. Ich hab mir eben überlegt was die Regenwürmer und Bienen so alles für den Planeten leisten und wie viel Müll und Vernichtung der sich darüber aufregende Mensch im Gegensatz dazu produziert.
Und dem Bettler geb ich immer ein paar Münzen, nicht um euch eins auszuwischen und die große Bettlerverschwörung zu unterstützen, nein, ich habs, er nicht. Tut mir nicht weh. Mich störts, dass sich jemand so erniedrigen muss um auf der Strasse zu betteln und ihr grillenden Fettbäuche noch mit dem Finger auf sie zeigt. Die ihr euch um 1499.- einen Griller kauft und um 1,99 das Hühnchen. Und da wären wir beim nächsten Punkt: missionieren.
Muss zugeben, das kann man mir gutmenschenmässig unterstellen. Ich bin durchaus freundlicher und wohlwollender zu anderen Gutmenschen. Ich probiers immer noch auf den sozialen Medien und in persönlichen Gesprächen, bei Demos, Diskussionen und in meinem geliebten BLOG Menschen bewusst zu machen was sie kaufen, essen, unterlassen, bewirken. Ich habe Freundschaften aufgelöst, Streit begonnen, öffentlich, privat, weil ich einfach nicht still sein kann bei Unrecht oder Halbwahrheiten. „Jetzt sei nicht immer so ein grader Michl!“ Hats am Ende nichts gebracht, hats eben nichts gebracht. Ich glaube, jede Bewegung/Provokation/Widerspruch bringt was. Und ich kann begründen, bis euch die Argumente ausgehen und ihr nur mehr sagen könnt: „Aber was wenn du auf einer einsamen Insel mit nur einem Kaninchen bist?“ #epicfail
Ok, ich bin ein bekennender Gutmensch, besonders gut im Gutsein zu unseren tierischen Miterdenbewohnern. Weniger gut zu den Menschlichen, die laut sind und nichts zu sagen haben bzw. nur stimmlich laut sind und beim Handeln kläglich versagen. Erlaubt mir diese Frage: Was, liebe Nichtgutmenschen, wenn es keine Gutmenschen gäbe? Es gäbe dann wohl auch keine Krankenschwestern wenn ihr krank seid. Oder AltenpflegerInnen wenn ihr alt seid. Ihr würdet beim Unfall einfach liegen bleiben, so wie mein hübscher Amselmann. Oder wenn die Schulmedizin sagt: Alles hat keinen Sinn mehr, dann hat alles keinen Sinn mehr. Es würde keiner nach euch suchen, wenn sie nichts dafür bezahlt bekommen. Es gibt viele Berufe, die emotional so viel mehr fordern als es jemals mit Geld entlohnt werden könnte und mMn müssen diese Menschen in ihrem Beruf ihre Bestimmung sehen, sonst könnten sie es nicht machen. Man denke nur an Ärzte ohne Grenzen, die unmenschliches erleben und trotzdem leisten. Es gibt in so vielen Bereichen Ehrenamtliche. Sie kümmern sich um eure Kinder, eure Opas, den Müll im Wald, die Frösche auf Schnellstrassen, da fallen mir hundert Sachen ein. Sich um aufgegebene Kaninchen zu kümmern ist da nur ein Mikroteil davon und ich sage aus tiefstem Herzen: DANKE dass es euch gibt und ihr weitermacht!
Die Worte des österreichischen roten Kreuzes haben mir nach diesen zwei Wochen Kraft gegeben.
Warum hinsehen, wenn man auch wegsehen kann? Weil ich es sehe.
Warum immer Dinge sehen, die man nie mehr vergisst? Viel weniger vergessen kann man Dinge die man gesehen und zurückgelassen hat.
Warum alles geben ohne nehmen zu wollen? Es gilt ein Leben zu verlieren.. oder zu retten! Und man bekommt: aufrichtige Dankbarkeit.
Warum mit jemandem reden, der nicht antwortet? Es bedeutet: du bist mir nicht egal, ich kümmere mich um dich.
Warum mit einem Mitleid haben, der kein Mitleid kennt? Weil es/sie/er Schmerzen und Todesängste kennt.
Warum eine Freundschaft eingehen, die bald enden wird? Liebe hat die Kraft, zu heilen.
Warum alles für jemanden geben, der sich selbst schon aufgegeben hat? Liebe hat die Kraft, zu motivieren.
Warum weitermachen, wo keine Hoffnung ist? Erst der Stillstand ist der Tod.
Warum sich nicht darauf verlassen, dass es ein anderer tut?
Weil ich es kann.