Wir brauchen Waldelefanten – Naturnah findet Stadt – Exkursion mit Naturgartenplaner Dr. Reinhard Witt
Die wahre „Wiesn“: wild – voller echter Schönheiten (Blumen), Artenvielfalt, Nahrung und Lebensraum für Tiere, mitten in der Stadt! Gestern durfte ich an einer Exkursion mit Dr. Reinhard Witt teilnehmen. Am Beispiel Rankweil in Vorarlberg zeigte er uns naturnahe, nachhaltige Möglichkeiten für Industriegebiete, öffentliche Plätze, Strassen und Firmengärten. (M)ein Beitrag über und für die Biodiversität.
Ich habe vor Jahren im Internet ein Buch gesucht, um Wildtiere im Garten anzulocken. Was man pflanzen.. stehen lassen.. bauen soll um das große Glück zu erleben Frösche, Eidechsen, Insekten aller Art, Eichhörnchen, Vögel .. beobachten zu dürfen. In mehreren Foren wurde Reinhards Buch empfohlen. Und tatsächlich – jede einzelne Seite des Buches ist so voll mit wertvollen Informationen, es ist für das kleine Geld wahrlich ein Meisterwerk. Kein Geschwafel, anwendbare praktische Anleitungen.
Wenig später war Reinhard im Zuge des „Tag der offenen Gartentür“ zu Gast in Innsbruck. Als Naturgartenplaner eines Anwesens in Arzl war er live vor Ort. Wir waren natürlich dort und was war es für eine Wohltat.. nach den anderen – englischen Rasen – Gärten, die wir zuvor gesehen hatten. So kam es, dass ich Reinhard als Referent für die Fortbildungsreihe „Natur im Fokus“ der Landesumweltanwaltschaft Tirol vorschlug. Nicht uneigennützig, aber Reinhard ist ja sowieso gemeinnützig. Das hat auch die Gemeinde Rankweil erkannt. Gestern war es dann soweit, Reinhard führte uns durch seine gestalteten Wiesen, die sich inzwischen – ganz so wie die Wildblumen auf seinen Flächen – immer mehr auf ganz Rankweil ausgebreitet haben.
Gestartet sind wir in einem neu entstehenden Gewerbegebiet, welches von der Gemeinde bereits im Vorfeld die Vorgabe erhalten hat, naturnahe Flächen einzuplanen. Reinhard zeigte uns den Mittelstreifen in voller Blüte, welchen er im April letzten Jahres eingepflanzt hat.
Seit 5 Jahren widmet er sich nun Projekten im Bereich Natur und Wirtschaft (naturnahes Begrünen der Außengelände), fungiert als Berater, organisiert Workshops und Kurse und plant öffentliches Grün. Dabei wendet er verschiedene Methoden in Neuanlagen und Umgestaltungen an. Jede Fläche ist eine andere Herausforderung und eine neue Chance. Ziel ist es immer statt RASEN = einer artenarmen Fläche (10 – 15 Arten) WILDBLUMEN = Artenvielfalt (beginnt bei 30, 40 Arten) zu erschaffen und damit Tieren (hauptsächlich Insekten) Lebensraum und eine stabile Struktur mit Nahrungsangebot und Brutplätzen zur Verfügung zu stellen.
Diese Chance bietet sich praktisch überall … an Feld – und Strassenrändern …
… im Garten einer Firma (Totholz bietet auch wichtigen Lebensraum) …
… bei einem Abrisshaus … (Dachbegrünung)
… auf Verkehrsinseln, kleinen romantischen Ecken im Strassenverkehr, Bachausbau …
Viele dieser wertvollen Ruderalflächen entstehen unabsichtlich. Reinhard erzählte uns von einer Raststätte, an der eine zufällig entstandene Sandfläche mit Wildblumen untersucht wurde. Es wurden 65 Wildbienenarten dort gefunden, u.a. welche die bereits als ausgestorben galten und 3 Neuentdeckungen. Deshalb bräuchte es mehr wilde Waldelefanten meinte Reinhard, die durch unsere Wälder und auch Städte trampeln und ein paar mehr unabsichtliche Ruderalflächen produzieren. So viel, dass wir gar nicht mehr nachkommen, die wieder mit Rasensamen zu zu schütten. Also mir würds gefallen!
Nun.. jetzt fragen sich vielleicht ein paar Manager: Warum der Aufwand? Warum sollte ich außerhalb meines Betonbaus mitten in der Stadt so ganz plötzlich Natur produzieren? Das ist doch nur was für die Ökos …
Nein, ist es nicht. Fakt ist: durch die Intensivlandwirtschaft und den dadurch entstandenen Monokulturen haben wir den Insekten schon zuviel Lebensraum genommen. Was wir dabei übersehen haben wird uns über kurz oder lang sehr viel mehr kosten, im schlimmsten Fall kann dann kein Obergeschäftsführer mehr irgendwas verkaufen. Wenn du das gerade liest, isst du vielleicht einen Apfel oder hast ein Baumwollshirt an. Kein Bestäuber mehr, kein Apfel mehr, keine Baumwolle mehr. Deshalb es ist es das mindeste unseren kleinen Helfern zurückzugeben, was wir genommen haben – Platz zu leben, zu essen, sich fortzupflanzen. Mir ist in den letzten Jahren aufgefallen (ich achte besonders darauf weil es mir so leid tut) dass immer weniger Insekten an der Windschutzscheibe kleben. Das ist kein gutes Zeichen.
Mit einem kleinem Wildblumenbeet ist schon viel getan, sie werden es nützen, das ist sicher. In einer Zeit der Extreme wo es immer heisser und nässer wird, ist es für die Pflanzen aber gar nicht so einfach: sie müssen stressresistent und konkurrenzfähig sein. Selbst wenn sie oberirdisch scheinbar vertrocknen die Kraft haben, in ihren Samen und Wurzeln die Energie zu speichern um schlechte Zeiten zu überstehen.
Was ist wichtig?
- Die Wahl des Saatgutes: einheimisch. Reinhard hat uns diese Adresse zum Bezug von Wildblumensamen empfohlen, sie werden dort auf die jeweiligen Gegebenheiten abgestimmt. In Reinhards Buch finden sich auch Pflanzenrezepte für unterschiedliche Anforderungen verschiedener Flächen.
- Der Boden in jedem Fall: ein Magerstandort. Idealerweise 20 – 30 cm Schotter/Sand/Kies, 2cm zertifizierter Grünkompost als Feuchtigkeitsspeicher für sehr trockene Sommer, vermischen, Samen drauf. Dies kann in einer neu bearbeiteten /gefrästen Fläche passieren oder auch nur in kleinen Inseln/Streifen, von denen aus die Wildblumen sich dann verbreiten (1m pro Jahr). Funktioniert auch an Schattenstandorten. Was wirklich weg muss ist jede Form des Oberbodens, in dem Gras, Klee, Giersch versteckt sind, die den Wildblumen den Platz und die Sonne nehmen. Dieser Oberboden ist auch in gängigen Sustraten von herkömmlichen Bauhäusern/Lagerhäusern enthalten und sehr schwer wieder wegzubekommen. Über konkurrenzstarke Arten schreibt Reinhard in seinem Buch Nachhaltige Pflanzungen und Ansaaten, zB der Klappertopf.
- Auf meine Nachfrage nach der geeigneten ZEIT der Aussaat riet uns Reinhard, sich in die Pflanze hineinzuversetzen. Jetzt (Juni) sei es durchaus noch nicht zu spät, die Pflanzen verstreuen jetzt alle ihre Samen.
- Maht ist auf reinen Wildblumenflächen nicht notwendig und falls doch (der Schönheit wegen) unbedingt staffeln aufgrund der Tierwelt. Sommerschnitt 2 Tage liegen lassen, Herbstschnitt mitnehmen. Bei Anlegung von Streifen zur Artenanreicherung wird eine mehrmalige Maht in den ersten Jahren empfohlen.
- Geduldig sein – Wildblumen haben niedrige Keimraten: nur 2 % keimen im ersten Jahr. Warum? Das ist eine Überlebensstrategie. Sollte die Dürre ausbrechen, wären 100% dahingerafft. Magerstandorte sind Extremstandorte. Wer das nicht aushält – Initialstauden wie zB die Färberkamille pro qm setzen (Bild 5).
- Positivbeispiele und Inspiration für den Nisthilfenbau für Wildbienen finden sich sehr anschaulich und gut erklärt auf dieser Seite.
Für mein ursprüngliches Interesse auch anderen Wildtieren Lebensraum zu bieten gibt es natürlich noch ein paar mehr Dinge zu bedenken. Glas und Licht sind große Gefahren, die sie irritieren und sie das Leben kosten können. Wie kann das Tier durch das Firmengelände/ Strasse/ Tal wandern, gibt es Barrieren?
Was ist mit dem Schmelzwasser im Winter, vor allem in Verbindung mit Salz? In Rankweil wurden für die Bäume keine Tröge verwendet, jeder Baum hat 16 Kubikmeter „Bewegungsfreiheit“. Es wurden Schienen eingebracht um das Schmelzwasser vom Wurzelbereich fernzuhalten.
Reinhard gibt in seinem Buch Tipps mit welcher Pflanze man welches Tier anlocken kann und welche bereits bestehenden Gegebenheiten man nutzen kann (Mauern, Totholz, Steinhaufen, Zäune …). In der Staude Jelängerjelieber (Geißblatt) zb nistet der Zaunkönig. Was mögen Schmetterlinge? Kann ein Teich von Mensch und Tier genutzt werden? Welche Biene kommt zu welcher Pflanze? Eine meiner Lieblingsseiten ist „Vom ökologischen Wert heimischer Wildsträucher“. Dies ist eine Aufzählung heimischer Sträucher, gelistet wie viele pollen – oder nektarsammelnde Wildbienenarten diese besuchen, wie viele früchtefressende Vogelarten kommen und wie viele früchte-, blätter- oder triebfressende Säugetierarten angelockt werden. Also genau das, was ich gesucht habe. Auch erkennbar, wie alles miteinander verbunden ist.
Es gibt noch viel zu tun, also fangen wir an! Ein großer Applaus an Rankweil, die hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Als Inspiration kommen noch ein paar Blumenbilder, alle gänzlich unbearbeitet weil sich von sich selber aus schon so schön sind. Also nicht nur Futter – und Lebensweiden für die Bestäuber, auch eine Augenweide für uns Menschlinge. Neben dem ökologischen Nutzen erschaffen wir so auch Paradiese für unsere Seele, zum Durchatmen. Auch das ist nachhaltig.